Nalli Sonnenschein

Lisa Eckhardt: Ist das schon Kabarett?

Lisa Eckhardt

Ach menno, da wollte ich heute über Lisa Eckhardt schreiben, und dann nominiert die SPD Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten. Timing – kann ich. Aber ich schreib trotzdem über Lisa Eckhardt. Über Olaf Scholz kann ich ja noch die nächsten 14 Monate schreiben. Ich will jedenfalls sehr hoffen, dass meine ganzen Sozi-Freunde, die in den letzten Monaten so fleißig Petitionen für Grundeinkommen und Soforthilfen für Künstler*innen, Soloselbständige und Hartz IV-Beziehende geteilt haben, bis zum 24. Oktober nächsten Jahres nicht vergessen haben, wer in der Corona-Krise zuerst versorgt wurde. Aber ich schweife ab…

Normalerweise halte ich mich ja mit Kommentaren zur Arbeit von Kollegen und Kolleginnen eher zurück. Normalerweise werden die aber auch nicht wegen ihrer Arbeit von Auftritten ausgeschlossen. Wobei, das stimmt natürlich nicht. Aber sonst werden Satitiker*innen halt von Faschisten erschossen, und nicht von Anwohnern aus der Stadt gejagt.

Das irritiert, was da in Hamburg passiert ist.

Was ist denn passiert?

Lisa Eckhardt, Kabarettistin aus Österreich, hat ein Buch geschrieben. Daraus sollte sie beim Harbourfront Literaturfestival Anfang September im Literaturhaus lesen. Ihr Auftritt wurde dann als Solo in den Nochtspeicher verlegt. Angeblich hatten sich zwei Kolleg*innen geweigert, gemeinsam mit Lisa Eckhardt aufzutreten. Der Veranstalter hat nun wohl die Notbremse gezogen, weil aus dem Umfeld der Anwohner mit Randale gedroht wurde. Man könne die Sicherheit von Künstlerin und Publikum nicht garantieren. Die Festivalleitung lud die Kabarettistin aus. Tage später wohl auch wieder ein. Diese hatte nun die Nase voll, die Lesung findet nicht statt.

Soweit, so unschön. Begründet wird der Widerstand (pun intended) mit Lisa Eckhardts antisemitischen Äußerungen bzw. ihrer steten Nutzung antisemitischer Bilder in ihrem Kabarettprogramm. Der Vorwurf im Großen und Ganzen: Sie grenzt sich nicht genug gegen antisemitisches Gedankengut ab und lässt zu viel von dem, was sie auf der Bühne sagt, ohne Auflösung stehen. Und lässt damit zu viel Interpretationsspielraum, der eben auch antisemitisch gefüllt werden kann.

Und das lernt die angehende Kabarettistin ja eigentlich zuerst: Mach deine Haltung klar, damit das Publikum weiß, wer du bist. Darf es lachen, oder soll es dich mit Tomaten bewerfen? Diese Klarheit fehlt einigen bei Lisa Eckhardt.

Raum für Interpretation oder fehlende Klarheit?

Nun muss ich sagen, dass ich auch kein spezieller Fan von Lisa Eckhardt bin. Das liegt aber weniger an ihrem Programm als an ihrem Duktus. Sie ist mir einfach zu affektiert mit diesem Wienerischen Schmäh und diesen Fingernägeln. Und wie so oft, wenn die Form nicht gefällt, nimmt man den Inhalt nicht so wahr. Wie in der Liebe. Wie oft verliebt man sich spontan in einen Waldschrat, weil der so kluuuuug ist? Eben. Das Auge – und meinem Fall das Ohr – isst mit.

Davon abgesehen finde ich es ganz amüsant, Spielraum zu haben. Kunst als Resonanzraum oder Impuls für die eigenen Gedanken finde ich spannender als Künstler, die mir sagen, was ich zu denken habe. Weil solche Leute ja nur erträglich sind, wenn sie dasselbe denken wie ich.

Oder ist es Zufall, dass die Schnittmenge ziemlich groß zu sein scheint zwischen den Leuten, die am Wochenende Florian Schröder für seinen (sehr geilen) Auftritt vor den Querdenkern in Stuttgart abgefeiert haben, und denen, die heute die Absage des Auftritts von Lisa Eckhardt bejubeln?

Ist Lisa Antisemitin?

Spoiler: Das weiß ich nicht. Ich kenne die Künstlerin nicht persönlich. Ich habe sie nie danach gefragt. Ihrem Gehabe auf der Bühne nach ist Lisa Eckhardt höchstwahrscheinlich eine, die 10 Jahre später die Nazis gewählt hätte. Aber wer, bitteschön, war das in den „Goldenen Zwanzigern“ nicht?

Heute Morgen habe ich in meiner Facebook Timeline einen Post vorgefunden, der sich sehr kritisch mit Lisa Eckhardt und ihren Stilmitteln beschäftigt hat. Eigentlich ging es in dem Post um Dieter Nuhrs Reaktion auf die Kritik an Lisa Eckhardt, aber der Autor schrieb über Lisa Eckhardt: „Ihr (sic!) „Kunstfigur“ (so sie denn eine ist) lässt auf der Bühne keine Gelegenheit aus, jedes erdenkliche Tabu zu brechen.“

Und diese Stelle, diese „Kunstfigur-in-Anführungszeichen (so sie denn eine ist)“, die hat mich hellhörig werden lassen. Ja, die Diskussion, ob man die Kunst von der Künstlerin trennen kann, führen wir immer mal wieder. Je nach Schwere des Vergehens und Stärke der Liebe zum Werk mit unterschiedlichem Ergebnis. Aber das hier ist perfide.

Die Frage wird nämlich nicht beantwortet. Sie wird nur eingeworfen und schwingt als Subtext mit. Dabei würde ihre Beantwortung die Debatte auf eine ganz andere Ebene verschieben. Auf der Oberfläche geht es nämlich weiterhin um Kabarett, Stilmittel und handwerkliche Mängel. Aber der Vorwurf, der mitschwingt, ist: Kabarett ist nur ein Vorwand, um antisemitische Ressentiments von der Bühne zu rotzen. Wenn Lisa Eckhardt keine Kunstfigur ist, dann ist Lisa Lasselsberger Antisemitin, und dann KANN es für ihren Auftritt keine Rechtfertigung mehr geben.

Ist es nicht egal, ob Lisa Eckhardt eine Kunstfigur ist?

Ja. Wenn einem egal ist, welche Bedeutung und Aufgabe die verschiedenen Kunst- und Medienformate haben. Wenn es einem egal ist, ob eine Aussage aus der Politik kommt oder aus dem politischen Kabarett. Dann kann einem auch egal sein, ob die Kunstfigur eine Kunstfigur ist. Und wenn man nicht mit einer Kabarettistin liiert ist. Da wäre es doch ganz gut zu wissen, ob die im echten Leben genauso zickig ist wie auf der Bühne oder eigentlich ganz lieb.

Zum Verhältnis der Bühnenfigur zur Privatperson gibt es bestimmt ebenso viele Haltungen wie Kabarettisten und Kabarettistinnen. Ich kann an dieser Stelle nur für mich reden. Und bei mir ist es so: Wenn ich auf die Bühne gehe, hört die Privatperson auf zu existieren. Für die Dauer eines Sets oder für einen Abend gibt es nur Nalli Sonnenschein. Für die, die es nicht wussten: Das ist ein Künstlername.

Wer mich auf der Bühne erlebt und dann denkt, er weiß, wer ich bin oder was ich denke, wird vermutlich herbe enttäuscht, wenn wir uns tatsächlich außerhalb des Rodeos kennen lernen. Oder total erleichtert, aber das hab ja nicht ich in der Hand. Die Privatperson geht nicht auf die Bühne. Das wäre ja unerträglich, wenn man sich ständig mit seinem ganzen Wesen so dem Wohlwollen von fremden Menschen ausliefern würde.

Die Aufgabe der Kunstfigur

Die Kunstfigur erlaubt mir mehrere Dinge. Sie erlaubt mir ein Stück Distanz zu meiner Arbeit, wie das jede professionelle Rolle tut. Sie erlaubt mir, Dinge auszuprobieren, die in anderen Lebensrollen wenig Platz haben. Und sie erlaubt mir, einen Beitrag zur öffentlichen Debatte zu leisten, auf den ich als Privatperson (noch) nicht festgenagelt werden will. Ich lasse das Publikum viel öfter an meinem Meinungsbildungsprozess teilhaben, als dass ich ihm das Ergebnis dieses Prozesses vorstelle.

Um ehrlich zu sein, habe ich zu sehr vielen Themen überhaupt keine Meinung. Weil sie mich nicht betreffen, mir nicht begegnen, mir egal sind, oder weil ich nicht genug darüber weiß, um mir eine fundierte Meinung zu bilden.

Dann gibt es eine kleine, überschaubare Auswahl von Themen, bei denen ich genau weiß, wie ich dazu stehe, und wo ich den Meinungsbildungsprozess auch als abgeschlossen bezeichnen würde. Die Gleichwertigkeit von Männern und Frauen beispielsweise. Dass Whiskey Sour mit Bourbon gemacht werden muss. Oder dass ich mich in Grund und Boden schämen würde, wenn irgendwann mal die Springerpresse für mich in die Bresche springt.

Nicht alles ist bühnentauglich

Nalli Sonnenschein Emanzipation

Diese Themen auf die Bühne zu bringen ist nur lustig für das Publikum, wenn ich eine andere Haltung einnehme. Keiner lacht über Feministinnen, die sich selbst ernst nehmen. Gags über Feminismus funktionieren nur, wenn ich dafür mit meinem Status spiele oder mit den Klischees. Wenn ich meinen eigenen Sexismus thematisiere oder Gründe für die Ungleichheit finde. Und wenn ich dem Publikum ein Stück weit erlaube, die Ungleichheit auch o.k. zu finden. Denn wenn sich das Publikum nur schlecht fühlt, wenn alle Männer denken, ich halte sie für misogyn, weil sie Pornos gucken, dann werden wir keinen schönen Abend haben.

Und dann gibt es noch eine ganze Reihe Themen, da habe ich (noch) keine klare Meinung zu. Weil ich die Dinge gern von allen Seiten beleuchte. Vielleicht habe ich mich noch nicht mit dem Thema beschäftigt, weiß nicht genug darüber oder habe noch nie Betroffene getroffen. Oder die Informationslage ändert sich noch. Oder ich erlebe etwas, das meine Haltung plötzlich infrage stellt. Diese Themen sind toll für die Bühne, weil ich durch die Bearbeitung eines Themas mir selber Klarheit verschaffen kann. Ich kann mit verschiedenen Haltungen spielen: Wie fühlt es sich denn an, die Corona-Maßnahmen für totalitär zu halten? Was wäre, wenn ich die politische Verantwortung trüge? Wie würde ich vorgehen, wenn ich die Weltherrschaft an mich reißen wollte?

Die Haltung als Stilmittel

Damit eine Nummer auf der Bühne funktioniert, muss die Künstlerin eine klare Haltung zu ihrem Thema einnehmen. Diese Haltung darf aber nicht mit der persönlichen Meinung verwechselt werden. Die persönliche Meinung funktioniert vielleicht einfach nicht als Gag. Meine Meinung ist zum Beispiel häufig viel zu differenziert, um sie publikumswirksam zu verwursten. Und sie ist vielleicht gar nicht relevant. Ich will dem Publikum nicht sagen, was es denken soll. Ich möchte dem Publikum Aspekte zeigen, über die es NACHdenken soll – bevor es sich eine abschließende Meinung zu einem Thema bildet. Aspekte, die ich interessant, seltsam oder schlicht und ergreifend bisher in der öffentlichen Diskussion nicht genügend berücksichtigt finde.

Wie ich die aufbereite, hat oft mehr damit zu tun, welche Gags funktionieren, als mit dem Thema selbst. Manchmal fange ich mit einer klaren Zielsetzung an zu schreiben und lande ganz woanders. Und manchmal – geben wir es doch ruhig zu – ist eine Nummer auch einfach nicht gut.

Und deshalb empfinde ich es als perfide, der Künstlerin zu unterstellen (auch in Klammern), dass es sich vielleicht gar nicht um eine Kunstfigur handelt. Denn ab diesem Moment ist es gar nicht mehr wichtig, was sie mit ihrer Nummer bezweckt oder wie sie das macht. Sachliche Kritik an ihrem Handwerk ist obsolet, wenn die Privatperson Lisa Antisemitin ist. Eine Antisemitin wollen wir auf der Bühne nicht sehen.

Ist die Kunstfigur von der Privatperson völlig getrennt? Natürlich nicht. Die Privatperson schafft die Kunstfigur. Sie schreibt ihre Texte. Sie wählt ihre Themen. Aber wer denkt, jeder, der eine antisemitische Figur auf die Bühne bringt, sei selbst judenfeindlich eingestellt, der muss auch Stephen King unterstellen, dass er im Clownskostüm Kinder frisst.

Tabus im Kabarett

Natürlich kann man ganz grundsätzlich fragen, ob es angemessen ist, im deutschen Kabarett antisemitische Klischees zu bedienen. Ich bin ja selber deutsche Kabarettistin und ich glaube, für mich wäre das ein Tabu. Ich muss allerdings auch sagen, dass ich kaum Juden und Jüdinnen kenne. Wenn das meine Freunde wären im Sinne von: „Ich habe dir zugehört. Ich kenne und respektiere deine Sichtweise. Ich kenne deine wunden Punkte und weiß ungefähr, wie weit ich gehen kann. Und ich bin mir dabei bewusst, dass du nicht für alle Mitglieder deiner Gruppe sprichst.“ Dann würde ich VIELLEICHT auch mal damit spielen.

Nääää, würde ich immer noch nicht. Ich sehe den Punkt einfach nicht. Wer weiß, vielleicht würde ich Lisa Eckhardt dann sogar selber unerträglich finden?

Manche sagen, jede Minderheit habe das Recht, Gegenstand von Gags zu sein. Und sicher wäre es schön, wenn wir so entspannt miteinander wären, dass das wirklich geht. Aber wann dieser Punkt erreicht ist, das entscheiden doch nicht die Nachfahren der Täter*innen. Wir können es blöd finden, dass wir noch nicht so weit sind. Aber wir sollten dieses „es blöd finden“ in Verbindung bringen mit der Ursache. Mit dem Antisemitismus unserer Vorfahren. Und mit den jüdischen Mitbürger*innen, die heute wieder vermehrt mit Antisemitismus konfrontiert werden.

Womit wir wieder bei Lisa Eckhardt wären, der manche vorwerfen, sie sei Teil des Problems. Und ich finde, dass man vor allem die Kritik aus der jüdischen Gemeinschaft nicht einfach vom Tisch wischen kann. Wenn dort der Eindruck entsteht, die Künstlerin bediene Klischees nur der Provokation wegen und nicht mit einem Ziel, das das Mittel rechtfertigt, ist das nicht gut. Und es ist Sache der Künstlerin, das aufzulösen. Oder?

Was darf Satire?

Man kann natürlich die extreme Haltung einnehmen, dass Satire alles darf. Und grundsätzlich ist das auch meine Haltung. Aber ich finde die Frage auch relativ egal. Die viel interessantere Frage lautet doch: Was soll Satire? Das, was sie alles darf, darf sie nämlich im Zusammenhang mit dem, was sie soll. Sie darf alles, was ihrem Zweck dient.

Und da wird’s knifflig. Denn Satire soll der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Und das, was man im Spiegel sieht, ist manchmal ausgesprochen unangenehm anzusehen und schwer zu ertragen. Zum Beispiel, wenn einem eine junge Kabarettistin sagt: „Sie jubeln mir zu, diese Deutschen! Einer an Kunstschulen abgelehnten, grantelnden Österreicherin. Sie lernen einfach nicht dazu!“ Sich also ganz klar mit Hitler identifiziert. Dann antisemitische Ressentiments raushaut.

Und das Publikum lacht.

Wenn das nicht das härteste Stück Kabarett ist, das ich je gesehen habe, dann weiß ich auch nicht. Das gerade NICHT aufzulösen, den Raum offen zu halten, ja, das ist verdammt riskant. Handwerklich sicher fragwürdig. Und im Grunde genommen ist es ja auch gut, wenn endlich jemand sagt: Moment mal… so geht das nicht. Das wollen wir nicht. Das sind wir nicht… mehr.

Nur hätte ich es so viel geiler gefunden (und ich unterstelle der Künstlerin: sie auch), wenn einfach mal das Publikum, an das sich der Text gewandt hat, aufgestanden und gegangen wäre. DAS wäre großes Theater gewesen! Das hätte gezeigt: Wir durchschauen deine Stilmittel, und das sind wir nicht. Du, liebe Künstlerin, liegst falsch.

Tat sie aber nicht. Und das ist das eigentliche Drama.


Bild-Quellen:

Lisa Eckhardt: Franziska Schrödinger

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